Eine der folgenschwersten pseudomedizinischen Methoden ist die Germanische Neue Medizin® des ehemaligen deutschen Arztes Ryke Geerd Hamer. Immer wieder sterben Menschen, die sich aufgrund seiner Lehren einer wirksamen Therapie entziehen. Wir werden hier keine Links setzen, um den Webseiten, die seine Lehren verbreiten, keine Plattform zu bieten. Hamers Anhänger behaupten gerne, Hamer würde im Gegensatz zur „Schulmedizin“ eine echte Wissenschaft betreiben. Doch was bedeutet Wissenschaft eigentlich?
Es gibt keine festgeschriebenen Regeln für die Wissenschaft, aber es gibt Werte, denen sich alle Wissenschaftler verschrieben haben. Die Einhaltung erfolgt sowohl selbstverpflichtend als auch durch Universitäten, Institute, Funding Agencies und Wissenschaftsjournals vertraglich abgesichert. Wir wollen die Prinzipien der Wissenschaft hier in zwei Teile einteilen: das wissenschaftliche Arbeiten und die Forschungsgemeinschaft.
Wissenschaftliches Arbeiten beschreibt ein systematisches Vorgehen, Beobachtungen und kontrollierte Experimente. Wissenschaftler stellen überprüfbare Hypothesen auf und versuchen diese zu bestätigen oder zu widerlegen. Wenn ich zum Beispiel vermute, dass ein bestimmtes Gen Leukämie auslösen kann, sollte ich in der Lage sein, durch Veränderung dieses Gens die Krankheit gezielt auslösen. Genau das tut man bei der Herstellung von Tiermodellen, um den Krankheitsverlauf besser untersuchen zu können. Wenn das Tier gesund bleibt, ist die These widerlegt und das untersuchte Gen ist nicht (zumindest nicht allein) der Auslöser. Die These ist also überprüfbar und widerlegbar. Die Hypothese „Es gibt ein Leben nach dem Tod.“ ist mit unseren Mitteln nicht widerlegbar und damit nicht wissenschaftlich.
Wissenschaft strebt immer nach Erkenntnisgewinn und Fortschritt. Dafür bedarf es der Zusammenarbeit vieler Forscher. Jeder kann weltweit daran teilnehmen. Die Wissenschaft verpflichtet sich dafür der Objektivität und Transparenz. Die Experimente und Daten müssen in einer Form präsentiert werden, die es jedem anderen Forscher ermöglicht, das genaue Vorgehen zu verstehen und bei Bedarf wiederholen zu können. Dies spiegelt sich in der Form von wissenschaftlichen Publikationen wider. Im sogenannten Peer-Review-Prozess überprüfen andere Wissenschaftler vor Veröffentlichung der Arbeit deren experimentelle Durchführung, Verständlichkeit und Datenpräsentation. Danach wird die Studie der wissenschaftlichen Gemeinschaft zur Verfügung gestellt. Zwar befinden sich leider ein großer Teil der Arbeiten hinter einer Paywall, dennoch haben die meisten Wissenschaftler über ihre Institutionen einen freien Zugang zu den Informationen. Damit werden die Studienergebnisse öffentlich zur Diskussion gestellt. Jeder kann versuchen, die Experimente zu wiederholen oder mit eigenen Experimenten die Ergebnisse widerlegen. Aus der Gesamtheit der von einer großen Mehrheit der Wissenschaftler akzeptierten Studien ergibt sich der „wissenschaftliche Konsens“ – ein gemeinsam erarbeitetes Verständnis des Themas.
Stehen neue Erkenntnisse und Funde im Widerspruch zu bisher akzeptierten Theorien, heißt das nicht, dass alles andere falsch ist. Die Wissenschaft erkennt an, dass wir nicht immer alles wissen können und ist offen für Neues. Wissenschaftliche Erklärungsmodelle entwickeln sich deshalb stetig weiter. Gibt es weitere Hinweise darauf, dass sich die neue Erkenntnis als richtig herausstellt, wird sie in das Wissensgeflecht eingebunden. Könnte ein Wunderheiler seine Fähigkeiten wissenschaftlich unter Beweis stellen, würde man dies akzeptieren. Bisher ist das aber noch keinem gelungen.
Hamers Lehren beruhen auf angeblich empirisch gefundenen „5 biologischen Naturgesetzen“. Empirisch bedeutet, dass man systematisch bei der Datenerhebung und -auswertung vorgeht. Wenn ich also z.B. zeigen möchte, dass eine bestimmte Therapie eine bestimmte Krankheit heilen kann, dann könnte ich Patienten mit der gleichen Krankheit mit verschiedenen Therapien behandeln. Wenn es den Patienten mit meiner Therapie am besten geht, ist das ein Hinweis darauf, dass meine Hypothese stimmt. Es reicht nicht, nur einen Patienten zu behandeln. Das wäre eine Anekdote und keine empirische Studie. Sucht man nach Ursprüngen von Hamers „Naturgesetzen“ findet man genau das: eine Anekdote über seinen eigenen Krankheitsverlauf. Daraus ließe sich vielleicht eine Hypothese aufstellen, die sich mit wissenschaftlichen Methoden untersuchen lässt. Hamer jedoch beruft sich darauf, eine Bestätigung seines verstorbenen Sohnes, der ihm im Traum erschienen ist, erhalten zu haben. Das hat nichts mit Wissenschaft zu tun.
Auf den Webseiten der GNM wird behauptet, in der Wissenschaft gelte etwas als richtig, bis es widerlegt ist. Das ist Quatsch. Wenn ich behaupte „Schokolade heilt Krebs. Beweise mir das Gegenteil!“, dann stimmt das auch dann nicht, wenn sich niemand die Mühe macht, die Aussage zu widerlegen. Wenn ich allerdings Hinweise vorlegen kann, die eine solche Schlussfolgerung zuließen und die bisherigen Erkenntnisse diese Möglichkeit nicht ausschließen (gibt es z.B. Studien die Schokolade ein erhöhtes Krebsrisiko zuschreiben?), dann könnte das eine Arbeitshypothese sein, die in weiteren Studien untersucht werden muss. Gibt es also irgendwelche Belege für Hamers Theorien?
1981 reichte Hamer an der Universität Tübingen seine Habilitationsschrift ein. Nach Gutachten, die die Unwissenschaftlichkeit seiner Arbeit bemängelten, wurde die Habilitation abgelehnt. Aufgrund von Formfehlern im Verfahren, war die Ablehnung nicht gültig und zog einen jahrzehntelangen Rechtsstreit nach sich. Hamer versuchte außerdem 1998 seine Habilitation an der slowakischen Universität Trnava einzureichen. Diese lehnte ebenfalls ab. Die Universität Trnava hat keine medizinische Fakultät, sondern ist auf die Fachbereiche Philosophie, Theologie, Jura, Bildung und Arbeit im Gesundheitswesen (Krankenschwestern, Sozialarbeit) ausgerichtet. Bis heute behaupten Hamers Anhänger aber, Professoren der Universität hätten die Wirksamkeit der GNM bestätigt. Im Internet kursiert ein Dokument dessen Echtheit wir nicht überprüfen können. Unabhängig davon ist ein Brief, auf dem drei Menschen unterschreiben, dass sie Hamers Methode für wissenschaftlich halten, kein Nachweis für Wissenschaftlichkeit. Daneben werden weitere Briefe als Verifikation angebracht, die ebenfalls keine Informationen über Methodik und Daten enthalten. Bis heute hat Hamer keine Daten und Analysen veröffentlicht, um sie der wissenschaftlichen Gemeinschaft zur Überprüfung zugänglich zu machen, und verstößt damit gegen die oben beschriebenen Prinzipien der Wissenschaft.
Hamer beruft sich auf „126 reproduzierbare Fakten“ für seine Theorien. Das klingt wissenschaftlich, aber was bedeutet das? Hamer hat verschiedene Kriterien für seine Lehre formuliert, nach denen sich Krankheitsverläufe beschreiben lassen sollen. Die Zahl ergibt sich aus den 4 Phasen der Krankheit (Vorphase, „konflikt-aktive“ Phase, Heilungsphase, Normalisierungsphase), 3 speziellen Zeitpunkten (Konfliktschockerlebnis, Konfliktlösung und „epileptische Krise“), den 3 Ebenen Psyche, Gehirn und Organ, sowie 6 in seinen „Naturgesetzen“ enthaltenen Kriterien. Dann wird gerechnet: (4+3) x 3 x 6 = 126
Was jetzt nach einem Fragenkatalog klingt, den man an jedem Patienten abarbeiten könnte, ist in Wirklichkeit eine Zusammenrottung schwammiger Formulierungen, unbestätigter Annahmen und interpretationsoffener Behauptungen. Wir haben uns Mühe gegeben, die 6 Kriterien aus den „Naturgesetzen“ herauszulesen, leider ohne Erfolg. Mit systematischer Methodik und empirischer Datenerfassung hat das nichts zu tun.
Es fehlen darüber hinaus nachvollziehbare Patientendaten, an denen sich diese „Fakten“ anwenden lassen. Mal wird von 7 mal von 20 Fällen gesprochen, was angesichts tausender Krebserkrankungen und noch mehr anderer Krankheiten ein Witz ist. Empirisch dokumentiert und öffentlich gemacht wurden diese Fälle nicht. Hamer verwehrt sich also der wissenschaftlichen Überprüfung seiner Theorien, da sie dem sehr wahrscheinlich nicht standhalten würden. Wie wir im Leukämie-Beispiel anführen wollen, widerspricht auch das, was wir darüber wissen, jeder akzeptierten wissenschaftlichen Erkenntnis.
Zum Weiterlesen:
- Steneck, NH (2007). ORI – Introduction to the Responsible Conduct of Research. The Office of Research Integrety, U.S. Department of Health and Human Services
- Informationen über Hamers Lehren stammen von germanische-heilkunde.at und neue-medizin.de